Im Erdbebeningenieurwesen ist der Verhaltensbeiwert ein wichtiger Parameter für die Bestimmung der Einwirkung auf ein Tragwerk. Bei der Bemessung nach dem dissipativen Tragwerksverhalten sind im Holzrahmenbau hohe Überfestigkeitsfaktoren anzusetzen. Deshalb werden grosse Reserven in der Bemessung erwartet und es stellt sich die Frage, ob bei der Bemessung nach dem nicht dissipativen Tragwerksverhalten der Verhaltensbeiwert erhöht werden könnte.
Der Verhaltensbeiwert wird bestimmt durch den Abgleich zwischen kraftbasierter und verformungsbasierter Bemessung. Für die Berechnung der Pushover-Kurven wird eine analytische Berechnungsmethode an experimentellen Untersuchungen aus der Literatur validiert. In dieser Arbeit wird der Einfluss unterschiedlicher Modelleingabegrössen und Parameter der Bemessung auf den Verhaltensbeiwert mit Hilfe numerischer Untersuchungen ermittelt. Dies sind unter anderem der angesetzte Überfestigkeitsfaktor, die Anzahl Geschosse, die Anzahl redundanter Wandscheiben, sowie der angesetzte plastische Verformungsanteil. Die Untersuchungen basieren auf dem Entwurf der zweiten Generation des Eurocodes.
Für die Bemessung nach dem nicht dissipativen Tragwerksverhalten wurde ein Verhaltensbeiwert zwischen 1,6 und 1,9 ermittelt. In der Bemessung nach dem dissipativen Tragwerksverhalten in der Duktilitätsklasse 3 wurde bei einem Geschoss ein Verhaltensbeiwert zwischen 3,3 und 4,1 erreicht. Mit zunehmender Anzahl Geschossen sinkt der Verhaltensbeiwert. Bei fünf Geschossen ergibt sich eine Reduktion um mehr als 30% gegenüber einem Geschoss. Bei 10 redundanten Holzrahmenbauwandscheiben steigt der Verhaltensbeiwert um 10%. Der ansetzbare plastische Verformungsanteil hat einen grossen Einfluss auf die Ermittlung des Verhaltensbeiwertes.
Im aktuellen Entwurf zum Eurocode besteht Überarbeitungsbedarf, da zwischen der kraftbasierte und der verformungsbasierten Bemessung Diskrepanzen bestehen. Daher muss in Zukunft der ansetzbare plastische Verformungsanteil für alle Tragwerkstypen im Holzbau individuell bestimmt und der Verhaltensbeiwert erneut berechnet werden. Die Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit zeigen, dass aus einem hohen Überfestigkeitsfaktor nicht auf einen hohen Verhaltensbeiwert in der Bemessung nach dem nicht dissipativen Tragwerksverhalten geschlossen werden kann. Die Bemessung nach dem dissipativen Tragwerksverhalten von Tragwerkstypen, welche aufgrund der Schubkraft und nicht dem daraus resultierenden Moment fliessen, ist nur möglich, wenn der Widerstand an die Einwirkung stockwerksweise angepasst wird. Anderenfalls muss der Verhaltensbeiwert reduziert werden.